Vor einiger Zeit habe ich mich in diesem Blog kritisch zu den Standardeinstellungen von MS Win 10 Home und den damit verbundenen Transfers privater Daten auf (amerikanische) Server von Microsoft geäußert.
Mir wurde daraufhin auch im eigenen Bekannten-Kreis immer wieder sehr deutlich klar gemacht, dass das “wohl völlig egal sei und die Vorteile von Win 10 die Nachteile bei weitem überwiegen würden”. Das Datensammeln sei schließlich auch bei Google so – aber man habe ja nichts zu verbergen. Nun will gar nicht erst damit anfangen, MS gegen Google aufzurechnen. Und regelmäßig den Sinn von Privatsphäre als grundlegenden Pfeiler einer demokratischen Informationsgesellschaft freier Bürger auch für hochgebildete Leute begründen zu müssen, bin ich ein wenig müde geworden. In diesem Sinne ist folgender Text nur ein Ausdruck ständiger Verwunderung über die widerspruchslose bis begeisterte Hinnahme bestimmter Entwicklungen ….
Vor kurzem sind Statistiken zum Einsatz von Win 10 und auch der unter Win 10 benutzten Programme bekannt geworden. Siehe:
http://www.ghacks.net/2016/01/05/microsoft-may-be-collecting-more-data-than-initially-thought/
Nehmen wir mal an, die dort genannten Zahlen stimmen, und greifen wir uns ein Beispiel heraus:
“Users asked Cortana more than 2.5 billion questions since launch.”
Ja, das gute Cortana (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Cortana_%28Software%29) – endlich eine MS-Antwort auf Technologie, die von Apple und Google schon lange benutzt wurde und wird. Und wie bei der Konkurrenz geht Cortana über die Stimmerkennung weit hinaus und erforscht ein Personenprofil auch über andere Daten (Notizbuch, E-Mails, Bing-Anfragen, ….). Siehe
http://www.windowsphone.com/de-DE/how-to/wp8/cortana/cortanas-settings
http://windows.microsoft.com/de-de/windows-10/getstarted-what-is-cortana-mobile
und die dortigen Links.
Was mich im Zusammenhang mit Cortana interessiert, ist der kleine, unscheinbare Satz im oben genannten Wikipedia-Artikel:
“Microsoft bestätigt „personalisierte Sprachmodelle“ anzulegen.”
Leider mit Verweis auf einen Zeitungsartkel der TAZ, der sich als echter Beleg nicht eignet.
Die entscheidende Frage ist: Wo werden die personalisierten Sprachprofile gesammelt? Dass das auf MS-Servern passiert, ist schwer zu beweisen, erscheint aber allein schon aus technischen Gründen plausibel. Es ist viel leichter, zuverlässige Sprach- und Stimm-Erkennung auf geeigneten Servern als z.B. Win 8 oder Win 10 Smartphones zu betreiben. Lässt sich diese Plausibilität untermauern? So zeigen folgende Artikel von MS, dass Cortana auf die Stimme des Benutzers trainiert werden kann.
http://windows.microsoft.com/de-de/windows-10/getstarted-what-is-cortana
http://windows.microsoft.com/de-de/windows-10/getstarted-make-cortana-yours
Nix Neues unter der Sonne und ans ich auch nichts Problematisches – wenn denn die zugehörigen Stimmprofil-Daten nur lokal auf meinem Endgerät vorgehalten würden.
Auf der Suche nach mehr Information gucke ich dann mal auf die durchaus lesenswerte Seite
http://www.windowsphone.com/de-de/how-to/wp8/cortana/cortana-and-my-privacy-faq
und da steht:
“Ihre per
Spracherkennung eingegebenen Bing-Suchanfragen werden wie textbasierte Suchanfragen behandelt und können zur Verbesserung der Bing-Suchergebnisse und zum Bereitstellen passender Werbung für Sie genutzt werden.”
Ok, Ok – das ich mit der Preisgabe meiner Persönlichkeit und Vorlieben für die Nutzung eines Betriebssystems bezahlen muss, ist ja laut meiner Bekannten angeblich “egal”. Unklar ist mir aber immer noch, ob die Sprachaufzeichnung – also mein Stimmmuster – selbst auf MS-Server wandert.
Also wage ich doch noch mal (mit Schaudern) einen Blick in das wirklich informative und seitenlange “Privacy Statement” von Windows 10:
https://www.microsoft.com/en-us/privacystatement/default.aspx
Freundlicherweise gibt es da einen Link namens Cortana. Ich zitiere aus dem entsprechenden Text:
“Speech and Input Personalization. To help Cortana better understand the way you speak and your voice commands, speech data is sent to Microsoft to build personalized speech models and improve speech recognition and user intent understanding. On Windows devices, Cortana can only work if Input Personalization is on, so if you turn it off, Cortana will be disabled. See the Windows Input Personalization section for more information.”
(Hervorhebung von mir.)
Aha,: “speech data is sent to Microsoft to build personalized speech models”. Nun, da liegt die Vermutung doch sehr, sehr nahe, dass es sich hierbei wohl um Audio-Stimmaufzeichnungen handelt. Nehmen wir das mal an.
Dann würde die oben erwähnte Statistik im negativen Fall bedeuten, dass nun auch MS personalisierbare Stimmmuster zu Millionen von Menschen sein Eigen nennt. Ohne Kontrolle darüber, was mit diesen biometrischen Informationen geschieht, wie lange sie aufbewahrt werden und vor allem, wofür und von wem die Inhalte der Fragen, die über Cortana gestellt wurden, genutzt werden.
Deshalb ein wenig Real-“Polemik” – wie die MS Anhänger unter meinen Bekannten das nennen würden:
In einigen Jahren bin ich im Urlaub – irgendwo in Brasilien – und das Hotel stellt seinen Hotelgästen Windows 12 Systeme zur freien Benutzung zur Verfügung. Und weil dort keine anderer Browser verfügbar ist, öffne ich Edge und eine freundliche (vermutlich weibliche) Stimme bittet mich auf Englisch, eine Frage zu stellen. Und weil ich meiner Frau einen Konzertbesuch versprochen habe, frage ich in meiner Not nach “concerts in the city”. Und die freundliche Stimme von MS antwortet mir auf Deutsch:
“Hallo Ralph, schön dass du doch mal wieder ein MS-System benutzt. Du redest leider so selten mit uns! Offenbar bist du im Urlaub. Brasilien ist ein tolles Land. Schön übrigens, das es dir wieder besser geht – nach deinem letztjährigen Infarkt, über den deine Frau bei Facebook schrieb. MS wünscht dir gute Erholung! Aber welche Art von Konzert soll ich dir vorschlagen? Du bestellst doch sonst immer Jazz-MP3s bei Amazon. Also ein Jazz-Konzert? Mit Kjetil Björnstadt – den magst du doch so gerne … Und weil wir schon dabei sind: Unsere neue App zur Stadtführung läuft auch auf deinem Samsung S12 Android-Handy. Wir beantworten dir gerne alle deine Fragen auf deinem nächsten Stadtrundgang … und wenn du eine etwas ausgefallene Kneipe suchst – wie in deinem letzten Urlaub – dann habe ich eine wirklich gute Empfehlung für dich … “.
Personenerkennung über Sprachmuster, Geo-Tracking über Sprachmuster, Ankopplung an Daten zu meinem Verbraucherverhalten, die die großen Konzerne im gegenseitigen Nutzen inzwischen gegenseitig austauschen. Einschätzung meiner aktuellen finanziellen Lage (Urlaub in Brasilien!). Konsumverhalten im Urlaub, etc., etc..
Cortana-Anhänger finden eine solche Entwicklung sicher gut und richtig. Egal auch, ob und zu welchen Zwecken diese Daten ggf. noch von anderen interessierten Organisationen benutzt werden. Wen interessiert es denn in Zukunft noch, wohin personenbezogene Daten
wandern ….
MS kann ich im Moment nur beglückwünschen – der bislang noch geringe Anteil am fast schon verteilt geglaubten Kuchen der kommerzialisierten Nutzung von elektronischen Personenprofilen wird mit dem kostenfreien Windows 10 Home und den oben genannten Zahlen sicher massiv wachsen. Statt “Win-dows” nun also “Win-knows” …. Man sollte wieder MS Aktien kaufen … Dabei hatten sie diese Entwicklung doch fast verschlafen …
Meine früher schon gut gemeinte Bitte an die Nutzer von MS Windows 10 Home, im eigenen Interesse sowohl das sog. “Privacy Statement” als auch das “Service Agreement”, zu dem ihr eure Zustimmung gebt oder schon gegeben habt, bitte wenigsten ein einziges Mal genau durchzulesen, halte ich aufrecht …. Es sind ja nur ca. 45 Seiten. Wenn ihr entsprechende Links sucht: Sie befinden sich am Ende folgenden lesenswerten Artikels:
http://thenextweb.com/microsoft/2015/07/29/wind-nos/
Übrigens: Einige User, die einfach upgegradet haben, sind über Win10 offenbar schon so verärgert, dass Klagen angestrebt werden. Siehe:
http://www.zdnet.de/88253055/nutzer-streben-wegen-windows-10-problemen-sammelklage-gegen-microsoft-an/
Mein Bekanntenkreis gehört wohl nicht dazu …