Vor kurzem konnte man lesen, dass sich unser geschäftsführender Außenminister (und früherer Wirtschaftsminister) auf der DLD-Konferenz geradezu ängstlich zum Thema IT und Europas Rolle zwischen den USA und China äußerte:
Da wird spekuliert, ob Europa nicht zwischen den digitalen Supermächten (gemeint sind vor allem China und die USA) zerrieben werden könne – und der Telekom-Chef gibt auf derselben Tagung Europa auf dem Feld von sozialen Medien bereits verloren. Man fasst es ja nicht ….
Seit Jahren (wenn nicht Jahrzehnten) wurde und wird das Thema Digitalisierung sowie die totale Abhängigkeit Europas von amerikanischen globalen IT- und SW-Monopolisten von den diversen Regierungsparteien – vor allem aber den Volksparteien – völlig vernachlässigt. Man hat da wie üblich auf die Marktkräfte vertraut …
Und jetzt plötzlich ist alles zu spät? Bedurfte es erst Meltdown und Spectre – und die dadurch erneut in Szene gesetzte totale Abhängigkeit von außereuropäischen Chip-Herstellern – um Minister plötzlich wach zu rütteln? Lieber Ex-Wirtschaftsminister:
An Warnungen – auch von Seiten der Industrie – hat es nun wahrlich nicht gemangelt. Und dass die Marktkräfte eben nicht alles richtig regeln, sollte ein SPD-Mann wohl am besten wissen. Man hätte gerade auf diesem Feld schon längst auf eine staatlich organisierte Zusammenarbeit mit Frankreich setzen können …
Und lieber Herr Ex-Wirtschaftsminister – am Rande sei auch darauf verwiesen, dass deutsche Regierungen Know How einfach abfließen lassen:
Ich habe hier in Augsburg mal mit einem hochqualifizierten Ex-Mitarbeiter von Kuka gesprochen. Dem standen die Tränen in den Augen als der Verkauf von Kuka an chinesische Konzerne genehmigt wurde. Es wurde ja angeblich kein europäischer Investor gefunden …
http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2016-07/37971269-kuka-chef-rueckabwicklung-der-uebernahme-durch-midea-nicht-moeglich-016.htm
Wo blieb da der Staat als Investor? Da hatten wir mal ein weltweit führendes Technologieunternehmen mit Bezug zu Themen wie u.a. künstliche Intelligenz. Dass das Know-How ausschließlich und langfristig in Europa hätte verbleiben müssen, liegt angesichts der jetzt offenbarten ministerialen Ängste auf der Hand. Dafür hätte man damals kämpfen müssen. Wo waren Sie damals – lieber Ex-Wirtschaftsminister – als der Verkauf erfolgte und vor allem davor?
Immerhin ist im jetzigen Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD die Rede von Giga-Netz-Ausbau, steuerlichen Erleichterungen für IT-Investitionen und einem gemeinsamen französisch-deutschen Zentrum für künstliche Intelligenz. Den erneuten Anlauf in Sachen “Deutsches E-Government” sehen wir regelmäßig seit dem Jahr 2000 in Regierungsprogrammen. Den Stand kennt jeder selber.
Alles Jahre zu spät – aber immerhin. Aber eines sollte ein Ex-Wirtschaftsminister auch verstehen:
Wenn man Google, Facebook, etc. etwas entgegensetzen will, nutzt es nichts, allein 10 – 12 Milliarden in den seit langem notwendigen Infrastrukturausbau zu investieren.
Mindestens die gleiche Summe muss in staatlich geförderte Brainware – sprich Menschen und deren IT-Kreativität investiert werden. Hierzu ist einerseits die gezielte Förderung von IT-Projekten erforderlich. Andererseits solltet ihr vielleicht auch mal darüber nachdenken, warum IT-Unternehmen zwar Ansparabschreibungen auf HW (zur Not auch Bagger) vornehmen können, nicht aber auf manchmal deutlich teurere SW und (in Grenzen) auch auf das Halten bzw. Beschaffen qualifizierten Personals?
Und dann ist da noch ein Punkt:
An unseren Schulen wird – wenn überhaupt – IT auf Basis von proprietären Microsoft-Systemen unterrichtet. Meist steht die Verwendung von MS-Office-Progammen im Fokus
der schon damit oft überforderten Lehrer.
Ehrlich gesagt:
Ich habe schon MSCE-zertifizierte Administratoren erlebt, die unfähig waren, sich in IPtables einzuarbeiten – weil zu abstrakt, komplex und ohne grafische Oberfläche. Das kommt leider nicht von ungefähr – es hat damit zu tun, dass die Betriebssysteme von MS geschlossen sind und weder Anwender noch Admin aus prinzipiellen Gründen viel davon mitbekommen sollen.
Es ist deshalb kein Wunder, wenn eine junge Generation von Indern und Chinesen, die schon allein aus Kostengründen auf Linux und offene Systeme setzt, unseren Kindern und Enkelkindern den Rang abläuft.
An den Schulen muss anhand von Systemen unterwiesen werden, die man auf jeder Detailebene studieren und ggf. auch anpassen kann; die Schüler müssen ab einem gewissen Alter in der Schule den strukturellen Aufbau von IT-Systemen lernen – und nicht den speziellen Umgang mit Google, MS Office oder Facebook. Letzteres lernen sie täglich völlig ausreichend im Umfeld ihrer Freunde.
Die Schule muss dagegen gezielt zeigen, wie IT-System prinzipiell funktionieren. Sie muss zeigen, was IT-Sicherheit bedeutet, wie und warum Angriffe erfolgen und wie man sich verteidigt (Harry Potter lässt grüßen …). Es ist vor allem SW-Entwicklung zu lehren – für Anwendungen und Betriebssysteme gleichermaßen. Das geht am besten und tiefsten mit Open Source und Linux.
“IT und SW-Entwicklung” hätte ab einer hinreichenden Altersstufe ein Pflichtfach an den Schulen werden müssen. Am Gymnasium in anspruchsvoller Form und auf der gleichen Stufe wie Mathematik.
Aber dafür müsste die Politik erstmal für eine hinreichende Ausbildung der Lehrkräfte sorgen …. dazu lese ich aber nichts im aktuellen Sondierungspapier.
Für all das ist es keineswegs zu spät und Europa ist keineswegs verloren – es fehlte und fehlt wie immer der politische Wille. Es gibt in Deutschland und Frankreich genügend junge Leute, die gerne eine europäische Suchmaschine auf Basis künstlicher Intelligenz aufbauen möchten und dies in Form eines staatlich finanzierten Open Source Projektes auch in relativ kurzer Zeit schaffen könnten. Aber wird der Ehrgeiz geeigneter Leute überhaupt angestachelt, wird er auch finanziell gefördert? Statt dessen mussten wir vor ein paar Jahren erleben, wie genau ein Europäischer Entwickler für einen Hungerlohn und mit viel Freizeit die Verantwortung für bestimmte lebenswichtige Verschlüsselungsverfahren übernahm.
Bzgl. der Ängste unseres Außenministers und früheren Wirtschaftsministers, Europa werde zum “tatenlosen Zuschauer” im globalen IT-Wettbewerb, ist deshalb in aller erster Linie an seine – aber nicht nur seine – Verantwortlichkeit für die eingetretene Fehlentwicklung zu verweisen. Einen Kommentar zum Telekom-Chef erspare ich mir.