Ich bin technologie-affin, aber ich bin kein Freund von Datenkraken. Ich finde eine Corona-App wichtig und richtig – aber wenn sie denn endlich eingeführt wird, dann doch bitte in Gänze mit offenen Karten.
Ich habe die deutsche Corona-App nun seit einer Woche auf meinem Android-Smartphone installiert und bin zunehmend verärgert. Zur Irritation beigetragen hat gestern die Lektüre einer Leser-Diskussion in der Zeit zum Thema; siehe die Debatte zum Artikel
https://www.zeit.de/digital/mobil/2020-06/tracing-app-corona-datenschutz-standortdaten-bluetooth-virus-bekaempfung.
Da überziehen sich die Debattanten mit dem Vorwurf der Unkenntnis [“keine Ahnung”, “Unwissenheit”, …] und sind z.T. stolz darauf, dass sie selbst (die Schlaumeier) wissen, dass man Zugriffsrechte (begrenzt) pro App regeln kann (übrigens auf die Gefahr hin, dass die betroffene App dann nicht mehr funktioniert). Scheingefechte unter Möchtegern-Gurus … und aus meiner Sicht eine Thema-Verfehlung.
Das eigentliche Thema ist, dass die Aktivierung der Corona-App vom Anwender die Freigabe der Standortbestimmung grundsätzlich und in pauschaler Weise verlangt, obwohl die Corona-App selbst die dadurch ermittelbaren Daten gar nicht nutzt.
Vorgeblicher Grund für die notwendige Freigabe: Nicht durchschaubare Android-Spezifika seit der Android Version 6.0, die ab der Version 8 aber wieder aufgeweicht wurden. Eine pauschale Freigabe der Standortbestimmung ist natürlich ein gefundenes Fressen für viele andere auf einem Android-Smartphone installierte Apps (darunter natürlich an dominanter Stelle etliche Standard-Apps von Google).
Man müsste also nach der Installation der Corona-App alle anderen Anwendungen Stück für Stück bzgl. der Rechte konfigurieren. Auf das notwendige Verfahren weist einen die Corona-App aber gar nicht hin! Und ich bezweifle, dass jeder Anwender jede installierte App auf die Rechtesetzung überprüfen würde.
Die Aktivierung der Corona-App bringt also (wirtschaftliche) Vorteile für Google und andere App-Ersteller mit sich, die weit über die Entwicklungsgelder für die Corona-App hinaus reichen. Man reibt sich verwundert die maskengereizten Wangen …
Ich habe in der vergangenen Woche mehrere Leute (8) – darunter auch 4 IT-ler – danach befragt, ob Ihnen bewusst sei, dass die Aktivierung der Corona-App auf ihrem Handy zu einer Freigabe der Standortbestimmung geführt habe. Sieben wussten davon nichts. Drei entgegneten mir, das sei ja gerade bei der Corona-App nicht der Fall. Eine hatte etwas während der Installation gelesen, aber dann weiter geklickt …
Wahrlich Zeit für eine “Standortbestimmung” in puncto Corona-App und zugehörige Vorinformationen durch Regierung und Presse. Gerade, weil ich selbst kein Android-Experte bin, möchte ich dabei ein paar Ungereimtheiten ansprechen …
Drei Perspektiven
Bevor ich mir – ähnlich wie manche Kommentierenden des Zeit-Artikels – anhören muss, ich würde ja auch sonst viele Daten durch Nutzung meines Smartphones an Google und Co weitergeben, stelle ich mal meine Sicht auf die Dinge dar:
Die Corona-Perspektive: Ich reise aufs beruflichen Gründen generell viel mit der Bahn. So war ich etwa die ganze letzte Woche unterwegs; quer durch Deutschland. In durchaus gut gefüllten Zügen, die die DB selbst als zu mehr als 50% ausgelastet angezeigt hat. Wegen meines Alters zähle ich leider bereits zu dem Personenkreis mit erhöhtem Corona-Risiko. Die Corona-App bewahrt mich natürlich nicht vor diesen Risiken, aber sie wäre doch ein wichtiger Puzzlestein im Bemühen, rechtzeitig einen Arzt zu kontaktieren, wenn eine bestimmtes Infektionsrisiko aus den erfassten Daten mit einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet wird. Die App böte auch die Chance, meine ältere
Lebensgefährtin, die aus verschiedenen Gründen zur Hochrisikogruppe gehört, zu warnen und geeignete Maßnahmen zu treffen. Deshalb habe ich mir am Dienstag vergangener Woche die deutsche Corona-App auf mein Smartphone installiert.
Die Smartphone-Perspektive: Mein privates Android-Smartphone ist relativ alt und mit Android 6 versehen. Es hat einen guten HW-Unterbau, viel Speicher, eine schnelle verschlüsselte Zusatzkarte und ist performanter als manches Smartphone von anderen Familienangehörigen mit Android 8. Ich benutze mein Smartphone primär zum Lesen in Zeitungen (per FF-Browser bei aktivierter VPN-Lösung). VLC ermöglicht mir dabei, Musik zu hören. Die Kommunikation mit anderen Mitbürgern erfolgt ausschließlich über Signal. Standortbestimmung, GPS, Bluetooth sind normalerweise abgeschaltet; der Zugang ins Internet über variierende VPN-Server ist regelmäßig aktiviert. Entfernbare Apps sind entfernt. Die Zugriffsberechtigungen von Apps sind auf ein Minimum reduziert (soweit möglich). Ich nutze weder Google Chrome noch Googles Suchmaschine am Handy für Standardsuchen im Browser; Noscript blockt Javascript, bis ich es zulasse. Ich nutze Facebook und Whatsapp (nach eingehendem Studium über 4 Monate hinweg) natürlich nicht, Youtube ist für mich auf dem Smartphone uninteressantes Terrain und deaktiviert.
Ich meine deshalb das, was man ohne Rooten des Smartphones tun kann, getan zu haben, um für Samsung und Google zumindest nicht unmittelbar überwachbar zu sein. Ja, ich höre schon: das ist eine Illusion. Stimmt, aber ich reduziere halt den direkten Zugriff, so gut es geht. Meine Frau hält mein Handy deshalb für nicht benutzbar – ein gutes Zeichen. Meine grundlegende Devise ist: Ich habe keine Freunde im Internet. Und Google ist mir bislang sicher nicht als Freund, sondern als kommerzielles Unternehmen mit kapitalistisch unterfüttertem Interesse an Daten zu meiner Person begegnet.
Die Perspektive auf unseren Staat in der aktuellen Krise: Ich hege kein fundamentales Misstrauen gegenüber unserem Staat und seinen Institutionen; eher gegenüber einzelnen Politikern und bestimmten Parteien. Ich bin sehr froh, in Deutschland zu leben und schätze unser Grundgesetz mit jedem Lebensalter mehr. Ich fand die Maßnahmen unserer Bundesregierung und der meisten Landesregierungen in Sachen Corona-Pandemie richtig. (Es schadet bei der Beurteilung dieser Maßnahmen übrigens nicht, selbst mal ein wenig auf Basis der bekannten Zahlen zu rechnen. Aber die Fähigkeit zum “Rechnen”, geschweige denn das Beherrschen von ein wenig Statistik, scheint ja bei vielen Mitbürgern, Moderatoren und Politikern nicht mehr zur Grundausstattung zu gehören … außer bei Fr. Dr. Merkel). Die Anstrengungen der Bundesregierung, eine App auf die Beine zu stellen, fand ich begrüßenswert. Den leider erst spät erfolgten Schritt in Richtung dezentrale Datenhaltung und Open Source auch.
Standortermittlung – ?
Es war klar, dass die Corona-App Bluetooth (Low Energy) nutzen würde. Die generelle Umsetzung von Bluetooth auf Smartphones durch die jeweiligen Hersteller ist bislang leider immer wieder durch viele Sicherheitslücken aufgefallen und weniger als solide Kommunikationstechnologie. Normalerweise aktiviert kein vernünftiger Mensch Bluetooth in einem dicht gefüllten Zugabteil. Aber in Coronazeiten muss man hier leider Kompromisse schließen. Das war – wie gesagt – von Anfang an klar und ist aus meiner Sicht auch hinreichend dargestellt und debattiert worden.
Dass man auf Android Smartphones aber pauschal die Standortbestimmung (inkl. GPS) aktivieren muss, das war nicht ausgemacht. In der öffentlichen Darstellung wurde im Vorfeld auch eher das Gegenteil betont. So traute ich meinen Augen nicht, als ich im Zuge der Installation und Aktivierung der Corona-App auf Seite 2 einer Popup-Meldung lesen musste:
“Für diese Funktionen [es ging um Bluetooth] sind die folgenden Berechtigungen erforderlich:
nGerätestandort
Diese Einstellung ist erforderlich, damit Bluetooth-Geräte in deiner Nähe gefunden werden können. Für Benachrichtigungen zu möglicher Begegnung mit Covid-19-Infizierten wird der Gerätestandort jedoch nicht genutzt. Andere Apps mit der Berechtigung zur Standortermittlung haben Zugriff auf den Gerätestandort.”
Ich hätte das beinahe überblättert. Zwar fiel mir das Wort “Gerätestandort” auf; aber aufgrund der Meldungen im Fernsehen und der Presse hatte ich die Erwartungshaltung, dass ich diesbzgl. lediglich darüber informiert würde, dass die Standortbestimmung nicht notwendig sei. Erst als ich erneut “Aktivieren” drücken sollte, wurde ich unschlüssig – die App oder was anderes? Und begann zu lesen …
Davon habe ich dann einem IT-Kollegen am Mittwoch vergangener Woche im Zug erzählt. Er hatte die App selbst installiert, hatte dabei allerdings über die zwei Erläuterungs-Popup-Seiten am Anfang zügig hinweggeklickt. Er wollte meine Darstellung erst nicht glauben. Bis ich ihm dann eine damals noch englische (!) Warnmeldung zeigte, die hochkam, wenn man die durch die Corona-App aktivierte Standortbestimmung (inkl. GPS) explizit wieder deaktivierte. Inzwischen (App-Version 1.0.4) ist die Meldung auf Deutsch da, aber zumindest auf meinem Gerät im Meldungsbereich nicht direkt in Gänze zu lesen. Da muss man dann auf dem Smartphone schon unter den eigenen “Google”-Einstellungen nachsehen:
“Benachrichtigungen zu möglicher Begegnung mit Covid-19-Infizierten. Diese Funktion ist deaktiviert”.
Tja, das ist wohl eindeutig. Keine Aktivierung der Standortbestimmung => dann auch keine Aktivierung der Benachrichtigung durch die Corona-App. War beim Kollegen dann auch so (trotz eines viel aktuelleren Handys). Richtig geglaubt hat der Kollege es aber erst, als ich ihm die Beschreibung der technischen Voraussetzungen unter den “Datenschutzinformationen” der App zeigte.
Interessanterweise findet man ja zur Standortbestimmung nichts unter “Häufige Fragen”, sondern eben unter “Datenschutzinformation” und dort weit unten unter Punkt 7 “Technische Voraussetzungen” – Punkt b) Android-Smartphones:
“Die Standortermittlung Ihres Smartphones muss aktiviert sein, damit ihr Gerät nach Bluetooth-Signalen anderer Smartphones sucht. Standortdaten werden dabei aber nicht erhoben. “
Eine fast gleichlautende Info erhält man übrigens auch, wenn man die Corona-App über deren eigenen Schalter deaktiviert und dann wieder reaktiviert.
Wirkt sich die Aktivierung der Standortbestimmung auf andere Apps aus? Oh ja! Am einfachsten kann man das über Google Maps oder Kompass-Anwendungen testen. Die fragen dann nicht mehr nach, ob z.B. GPS aktiviert werden soll; man hat das im Zuge der Aktivierung der Corona-App tatsächlich pauschal freigegeben (falls man anderweitig nicht andere Einschränkungen getroffen hat.) Was nicht heißt, das die Corona-App selbst Standortdaten verwendet. Dazu unten mehr.
Soviel erst mal zu den Fakten und zu dem, was einem die Corona-App selbst mitteilt.
Was zeigen Recherchen im Internet?
Man kann nun ein wenig im Internet recherchieren. Dabei wird man feststellen, dass man sich nicht getäuscht hat. Auf Android-Geräten ist zunächst die pauschale Standortfreigabe notwendig. Auch wenn die Corona-App selbst keine Standortdaten nutzt … Und was lernt man auf die Schnelle sonst noch?
Punkt 1: Google koppelt die “Standortbestimmung” (inkl. der generellen Freigabe von GPS für andere Apps) und die Nutzung von “Bluetooth Low Energy” faktisch und technisch aneinander. Das war und ist so beabsichtigt! Mindestens mal in Android 6.x und 7.X. Siehe:
stackoverflow.com/ questions/ 33045581/ location-needs-to-be-
enabled-for-bluetooth-low-energy-scanning-on-android-6-0
https://www.mobiflip.de/shortnews/corona-warn-app-geraetestandort-unter-android/
Man kann Bluetooth zwar separat aktivieren (inkl. Low Energy-Funktionalität [LE]), aber es nutzt dir nichts, wenn du nicht gleichzeitig eine Standortbestimmung zulässt. Grund: Bluetooth LE würde sonst angeblich gar nicht anfangen, nach anderen Bluetooth-Geräten zu suchen. Leider wird dir als Corona-App-Nutzer in der der Statuszeile des Android-Bildschirms nicht angezeigt, dass die Standortbestimmung aktiviert wurde. Das musst du dann schon selbst entdecken …
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis, dass die zwei technisch zunächst getrennten Funktionalitäten der Bluetooth-LE-Aktivierung und der faktischen Freigabe einer Standortbestimmung in Apples iOS nicht miteinander verbunden worden. Der Bluetooth-Chip ist auch auf Android-Handys eine eigene Einheit und hat z.B. mit einer groben weiteren Standortbestimmung per Wifi oder GPS oder durch andere verortete Bluetooth-Empfänger-Geräte technisch nicht direkt etwas zu tun. Dennoch hat Google die Kopplung auf Betriebssystemebene (!) herbeigeführt. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt ….
Punkt 2: Die fast verschämte Antwort, die dazu an verschiedenen Stellen im Internet kolportiert wird, lautet, dass man das deshalb so handhabe, weil ja auch über Bluetooth eine Standortbestimmung vorgenommen werden könne. Ich zitiere aus https://developer.android.com/guide/topics/connectivity/bluetooth-le:
“Because discoverable devices might reveal information about the user’s location, the device discovery process requires location access. If your app is being used on a device that runs Android 8.0 (API level 26) or higher, use the Companion Device Manager API. This API performs device discovery on your app’s behalf, so your app doesn’t need to request location permissions.”
Das ist schon eine seltsame Logik. Weil die Aktivierung eines technischen Senders indirekt und in Kombination mit anderen technischen Funktionalitäten oder anderen Geräten eine Standortbestimmung ermöglichen könnte, muss man die Standortbestimmung auf dem eigenen Gerät pauschal für alle anderen Apps freigeben? Aber ab Android 8 dann doch nicht mehr? Verarschen kann man sich alleine wirklich besser ….
Siehe hierzu auch:
https://android.stackexchange.com/ questions/ 160479/ why-do-i-need-to-turn-on-location-services-to-pair-with-a-bluetooth-device
https://www.t-online.de/ digital/ id_88069644/ corona-warn-app-android-standort-freigeben-so-verhindern-sie-google-tracking.html
https://www.smartdroid.de/ corona-warn-app-standortermittlung-kommt-von-google-ein-erklaerungsversuch/
Tja, Google, warum wurde ich eigentlich bisher beim Nutzen von Bluetooth LE darauf nicht aufmerksam gemacht? Wie man es auch dreht und wendet: Es gibt keine logische Begründung dafür, zwingend eine Standortbestimmung auch für andere Apps (inkl. GPS-Nutzung) freizugeben, weil Bluetooth ggf. eine Standortbestimmung möglich macht.
Punkt 3: Dennoch bleibt festzuhalten: Ja, es stimmt, man (ein anderer Bluetoothnutzer bzw. eine anderes Bluetooth-Gerät) kann über Bluetooth und z.B. Wifi indirekt eine Standortbestimmung deines Handys vornehmen. U.a. über die Beacon-Funktionalität. Auch Google konnte (bei aktiviertem Bluetooth auf deinem Geräte) wohl immer schon
deinen Standort über Dritte ermitteln, die sich in deiner Nähe mit aktiviertem Bluetooth, GPS oder WiFi befanden.
Punkt 4: Es bleibt die Frage, warum Google zwei, eigentlich völlig unabhängige Funktionen (nämlich Bluetooth LE und eine Standortbestimmung) seit Android 6 technisch so eng aneinander gekoppelt hat. Es wäre ja auch anders gegangen. Du aktivierst Bluetooth und erhältst eine Warnung, dass damit auch eine Standortbestimmungen möglich sind. Und eine Beschreibung der möglichen Mechanismen. So wurde das aber nicht aufgezogen … Zieht man allerdings für die Kopplung auch andere als nur technische Gründe in Betracht, so macht das Ganze plötzlich sehr viel Sinn; allerdings keinen technischen sondern einen ökonomischen. Zufall?
Punkt 5: Bluetooth und Bluetooth LE … Habe ich als Anwender eigentlich Kontrolle darüber, welche App was genau einsetzt? Und ob die App bei Bedarf nicht auch die Standortfreigabe auf irgendeine Rückfrage im Hintergrund aktiviert? Schalte ich (normales) Bluetooth an, ohne Standortfreigabe und GPS explizit zu aktivieren, sehe ich im Moment gerade 10 Geräte in unserem Wohnhaus mit aktiviertem Bluetooth. Es gibt für den Android-Laien somit vier Möglichkeiten, die Situation zu beurteilen:
(a) Entweder ist die Aktivierung der Standortbestimmung für Bluetooth und das Erkennen anderer Geräte technisch gar nicht erforderlich (entgegen Google’s eigener Verlautbarung für Bluetooth LE …). Zu dieser Variante passt: Es gibt unter den Bluetooth-Einstellungen die Möglichkeit, sich selbst aktiv sichtbar zu machen.
(b) Oder die Standortfreigabe wird im Hintergrund aktiviert – ohne dass ich als Anwender informiert werde.
(c) Eine dritte Variante ist, dass die Standortfreigabe für das aktive Suchen nach anderen Bluetooth-Geräten nur im Falle von “Bluetooth Low Energy” [BLE], wie für die Corona-App eingesetzt, verwendet wird – und in diesem Fall aber technisch unumgänglich ist.
(d) Über eine deutlich schlimmere Variante mag ich nicht weiter nachdenken.
Lieber Leser: Können wir uns darauf einigen, dass das ohne tiefere technische Einblicke in Android mindestens mal eine äußerst dubiose Sachlage ist? Die nun aber Google indirekt sehr zugute kommt?
Punkt 6: Nun nutzt ja die Corona-App selbst die im Prinzip ermittelbaren Standortdaten nicht. Da glaube ich mal jenen, die den Code der App bereits im Detail durchforstet haben (hoffentlich). Aber was macht Google ggf. auf anderen Wegen mit der aktivierten “groben” Standortbestimmung? Aus Diskussionen in Zeitungen (z.B. der SZ, der Zeit oder der Faz) entnimmt man nicht mehr als die Versicherung von Google, dass es die Daten im Kontext der Corona-App nicht erfasse. Soll ich das glauben? Hmm, es ist immerhin strafbewehrt ….
Punkt 7: Aber halt: Da fand sich in den Hinweisen der Corona-App selbst ja noch der kleine Satz am Schluss: “Andere Apps mit der Berechtigung zur Standortermittlung haben Zugriff auf den Gerätestandort.” Offenbar dürfen die anderen Apps die Standortdaten dann wohl auch nutzen. Der User hat ja schließlich die Standortbestimmung explizit freigegeben. Um sich gegen Corona zu schützen …
Aha! Wer dürfte sich da freuen? Google! 10 Millionen Downloads => 10 Millionen pauschal eine für Apps pauschal aktivierte Standortbestimmung frei Haus – durch Aktivierung der Corona-App! Nein, die Standortermittlung erfolgt nicht durch die Corona-App selbst – aber eben (potentiell) durch andere Apps, die über die Aktivierung der Corona App nun die Nutzung der Standortbestimmung freigeschaltet bekommen haben. Das ist so genial, dass man fast neidisch wird.
Punkt 8: Nun werden einige Schlaumeier sagen, man könne ja die Rechte der (vielen) anderen Apps über den “Anwendungsmanager” einschränken. Stimmt. Kann man. Darauf weist die Corona-App aber leider gar nicht hin. Und, hast du, Schlaumeier, das auch schon
mal gemacht? Jede Anwendung im Anwendungsmanager aufgerufen und die Rechte beschränkt? Das ist übrigens eine sehr lehrreiche Übung, die ich jedem Android-Nutzer dringend ans Herz lege … Bei der Corona-App selbst kannst du auf dem Weg übrigens nur die Berechtigung zur Nutzung der Kamera (wird bei Übermittlung eines Testergebnisses verwendet) abschalten …
Punkt 10: Ein wenig Nachforschen zeigt: Ein paar Einstellungen zur Corona-App können auch im Kontext der Google-Einstellungen gesetzt werden (man öffne die Android-Anwendung “Einstellungen” und dort “Google”!) . Da erfährt man übrigens auch definitiv, dass die Benachrichtigung bzgl. des Kontakts mit Infizierten deaktiviert wurde, wenn man die Standortfreigabe zwischenzeitlich – aus welchen Gründen auch immer – abgeschaltet hat. Und da überfällt mich dann wieder ein größeres Stirnrunzeln. Die Corona-App selbst zeigt dir das nämlich nicht an; die werkelt einfach weiter. Ein Hinweis darauf, dass die Entwickler davon ausgegangen sind, dass die Freigabe der Standortbestimmung nicht mehr deaktiviert wird?
Die App verhält sich bei explizit abgeschalteter Standortbestimmung seltsam
Ich habe die Standortbestimmung am Mittwochnachmittag letzter Woche abgeschaltet. Damals kam dann noch ein englischer Hinweis auf eine Deaktivierung der Benachrichtigung zum Infektionsrisiko. Die App selber meldete mir über ihren misslichen Zustand erst mal gar nichts. Sie lief mindestens drei Tage weiter, zeigte mir jeden Tag an dass sie aktiv sei (entgegen der Feststellung unter meinen Google-Einstellungen) und dass mein Risiko nach wie vor gering sei. Heute – am Montagvormittag – zeigte sie mir dann an, dass kein Risiko bestimmt werden könne, weil die App seit 3 Tage nicht “updaten” konnte. ????
Test: Standortbestimmung wieder freigeben. Corona-Benachrichtigung wieder in der App aktiviert. App läuft => geringes Risiko. Standortermittlung explizit deaktiviert => Corona-App läuft weiter, als sei nichts geschehen => “Geringes Risiko. 6 von 14 Tagen aktiv!”. Aber Meldung unter den Google-Einstellungen: Diese Funktion (gemeint ist die Risikobenachrichtigung) ist deaktiviert!
Ich würde das mindestens mal als Inkonsistenz bezeichnen … eigentlich ist es ein massiver Bug.
Auf Nachfrage bei anderen Nutzern der Corona-App hat sich übrigens herausgestellt, dass mancher der Befragten die Standortbestimmung tatsächlich einfach wieder deaktiviert hatte: Sobald sie nämlich zufällig entdeckten, dass sie aktiv war. Zwei dachten, sie hätten wohl vergessen, die Standortbestimmung nach einer Benutzung von Google Maps wieder abzuschalten. Die Meldung, die dann nicht vollständig lesbar war, hatten sie ignoriert. Sie konnten sie auch nicht unmittelbar der Corona-App zuordnen. Die “lief” ja noch und zeigte ein geringes Risiko an …. Oh mei …
Bewertung
Ich finde, das Ganze ist eine schwierige, bis üble Gemengelage. Das liegt zunächst nicht an der Corona-App selbst und schon gar nicht an unserer Regierung. Es liegt einzig und allein an Google – und deren Kopplung des Einsatzes von Bluetooth LE mit der Freigabe der Standortbestimmung – für alle anderen Apps. Diese Kopplung spielt Google nicht erst jetzt eindeutig ökonomisch in die Hände bzw. unterstützt Googles Geschäftsmodell massiv.
Ja, man kann zwar nach der Installation der Corona-App alle anderen Apps bzgl. der Rechte konfigurieren. Aber ehrlich: Wer macht das schon? Der normale Anwender weiß nicht mal, wo und wie er Zugriffsrechte verwalten kann. Die Corona-App macht einen darauf leider auch nicht aufmerksam.
Hinzu kommt auch, dass die Corona-App nichts anzeigt oder meldet, wenn die angeblich zwingend benötigte Freigabe der Standortbestimmung im Nachhinein abgestellt wird. Das ist entweder fahrlässig – oder aber Freigabe der Standortbestimmung wird entgegen aller Beteuerungen doch nicht benötigt. Keine der beiden Alternativen ist gut.
Was hätte ich erwartet?
- Zunächst mal klare
und eindeutige Informationen über die notwendige Aktivierung der Standortbestimmung im Vorfeld der Veröffentlichung der App – durch die Regierung und auch durch Google. Später eine klare Information durch die App selbst. Plus Informationen für Interessierte, warum zwei technisch unterschiedliche Funktionen ab Android 6 überhaupt aneinander gekoppelt wurden. - Ich hätte erwartet, dass mir die pauschale Aktivierung der Standortbestimmung in der oberen Statusleiste von Android durch ein eindeutiges Symbol im Zuge der Aktivierung der Corona-App angezeigt wird. Am besten in einer Signalfarbe.
- Ich hätte detaillierte Informationen dazu erwartet, dass man nach der Installation und Aktivierung der Corona-App andere Apps bzgl. deren Zugriffsrechte nachjustieren muss – und für den Normalverbraucher auch Infos dazu, wie man das macht.
- Ich hätte grundsätzlich erwartet, dass Google eine technische Lösung anbietet, die eine Umgehung einer pauschalen Freigabe der Standortbestimmung ermöglicht. Das war schon lange überfällig. Warum hat man da seitens des Auftraggebers (= Regierung) nicht mehr Druck ausgeübt?
- Ich hätte zumindest erwartet, dass mir die Corona-App anzeigt, dass sie nicht mehr richtig funktioniert, wenn ich die Standortbestimmung aus irgendwelchen Gründen abschalte.
- Ich hätte mindestens mal vom CCC (Chaos Computer Club) eine Bewertung der pauschalen Freigabe der Standortbestimmung für andere Apps unter Android erwartet. Statt dessen: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-app-launch-100.html. Sicher ist Vieles vorbildlich gewesen … aber Open Source allein reicht nicht als Gütesiegel …
Fazit: Ich bin mit der App nicht zufrieden. Es bleibt das schale Gefühl, das Google uns alle mal wieder über den Tisch gezogen hat, auch wenn die Corona-App selbst sinnvoll ist. Meine Lehre aus dem Ganzen ist: Es wäre endlich an der Zeit, eine Alternative zu Android auf europäischer Ebene zu entwickeln. Aber das werde ich wohl nicht mehr erleben …
Habe ich die Corona-App jetzt abgeschaltet? Nein. Aber ich habe die Rechte anderer Apps weiter reduziert – mit interessanten Folgen. Jetzt hat mir Google eine freundliche Mail geschickt, ich möge nun doch bitte meine Google-Account-Einstellungen zur Nutzung personenbezogener Werbung vervollständigen … Ein Schelm, wer Böses denkt ….