Libreoffice 3.4, Scrollbar-Fehler, KDE 4.7

Manchmal gibt es in der Opensource-Welt Fehler, über die man sich aus folgenden Gründen wirklich ärgern muss:

  • Sie brechen nach Wochen halbwegs angenehmen Arbeitens plötzlich aufgrund eines harmlos erscheinenden Updates einer Applikations-Sub-Version über einen herein und machen eine Schlüsselapplikation zumindest teilweise unbrauchbar.
  • Sie sind spezifisch für eine Linux-Desktop-Variante (hier KDE 4.7.x) und treten unter einer anderen (KDE 4.6, Gnome) nicht auf.
  • Die Entwickler und Distributoren haben die verschlimmbesserten Anwendungs-Programme offenbar nicht unter der betroffenen aktuellen Desktop-Versionen getestet.

In diese Kategorie fallen z.B. zwei aktuelle Fehler bzgl. der Integration von Libreoffice 3.4.x und KDE 4.7.x – zumindest unter Opensuse 11.4, wohl aber auch unter anderen Distributionen.

Libreoffice ist GTK-basiert. GTK-Applikationen laufen unter KDE vom Erscheinungsbild her leider nicht immer ganz optimal. Aber im vorliegenden Fall half kein Rumdoktern an Einstellungen oder der Austausch von Bibliotheken für die GTK-QT-Integration; es liegt wohl eher ein Bug vor.

Man betrachte folgendes Bild:

bug libreoffice 600

Man erkennt einerseits eine viel zu große ungeglättete Schriftart, die zur Beschriftung der Lineale herangezogen wird. Andererseits – und das ist schlimmer – liegt ein Teil der Dokumentdarstellung über dem horizontalen Scrollbar, der dadurch letztlich unbrauchbar wird.

Bzgl. der Linealbeschriftung gilt, dass offenbar nicht die KDE-Schriften gezogen werden, obwohl in der entsprechenden LibreOffice-Optionen-Seite

“Extras > Optionen > LibreOffice > Ansicht”

der Punkt

“Systemschriftart für die Benutzeroberfläche wählen”

aktiviert ist. Statt dessen wird auf eine Schrift zurückgegriffen, die auf dem Linuxdesktop nicht unterstützt ist. Zumindest auf meinem nicht – und da sind wirklich viele Schriften installiert …

Beim horizontalen Scrollbar klappt möglicherweise die Integration der gewählten GTK-Styles unter KDE 4.7 in Libreoffice nicht, obwohl ein ansprechender Style unter KDE4’s “Systemeinstellungen > GTK-Stile und Schriftarten” ausgewählt wurde – und bei anderen GTK-basierten Anwendungen auch gezogen wird. Oder es liegt halt ein anderer handfester Bug vor.

Ein Test unter Gnome und KDE 4.6 zeigt im Gegensatz zu KDE 4.7 interessanterweise eine einwandfreie Darstellung der Libreoffice-Oberfläche.

Workaround

Als Sündenbock entpuppt sich nach ein wenig Rumspielen schließlich das RPM-Paket “libreoffice-kde4”. Ein Workaround besteht entsprechend darin, dieses Paket durch “libreoffice-gnome” zu ersetzen und die Einstellungen für die Gnome-Oberfläche zu erzwingen, obwohl man unter KDE4 arbeitet.

Dies geschieht dadurch, dass man in die Datei “/usr/bin/soffice” folgende Zeile einfügt:

export OOO_FORCE_DESKTOP=gnome soffice

Danach kann man mit Libreoffice 4.4.x unter KDE 4.7.x wieder arbeiten. Sogar die KDE-Schriftarten werden für die Menüs gezogen, wenn man einen kompletten Neustart der KDE-Oberfläche vornimmt.

Dieser Umweg ist nicht auf meinem Mist gewachsen – gefunden habe ich den Vorschlag nach einer etwas mühsamen Suche im Internet unter

https://bbs.archlinux.org/viewtopic.php?pid=971669

Ich dachte, ich verweise an dieser Stelle mal auf diesen Workaround, denn in vielen Internet-Beiträgen zum Scrollbar-Problem gehen die verzweifelten Anwender entweder auf eine ältere Libreoffice Version oder gar auf eine ältere KDE-Version zurück.
Das ist unnötig. Aber die Verzweiflung der Anwender verstehe ich gut, denn es handelt sich bei KDE 4.7 und Libreoffice 3.4 ja um fundamentale Bausteine eines Opensource-Desktops, die man zum produktiven Arbeiten benötigt.

Mangelnde Qualitätssicherung ?

Es bleibt wieder der ungute Eindruck, dass es vor der Veröffentlichung mancher “verbesserter”, neuer Versionen von Opensource-Programmen an der Qualitätssicherung hapert. Im aktuellen Fall haben sich die Entwickler wohl mehr um Gnome, ältere KDE-Versionen oder gar Windows als Zielplattform gekümmert. Einen Test für ein aktuelles KDE 4.7 kann wohl kaum jemand durchgeführt haben, denn sonst gäbe es nicht so viele Beiträge zu dem Scrollbar-Problem im Netz.

Was wieder mal meine Überzeugung verstärkt, dass der Opensource-Desktop unter Linux auf Dauer nicht zum Erfolg kommen wird, wenn bzgl. der Qualitätssicherung nicht ein deutlich höherer Standard erreicht wird. Das hier geschilderte Beispiel ließe sich ja um viele weitere Fälle aus der KDE-Geschichte ergänzen. Man denke nur an die Probleme bei der Einführung von Akonadi oder bestimmte Bugs in Kontact.

Ich meine, dass eine bessere Form der Qualitätssicherung wirklich notwendig ist, bevor laufend Verschlimmbesserungen von Opensoure-Programmen ihren Weg in die Repositories der Distributoren finden. Irgendwie scheint mir diesbezüglich ein wichtiges Glied zwischen der Entwicklungstätigkeit der Community und der Publikation der mit sehr hoher Frequenz entstehenden Opensource-Werke in den Repositories der Distributionen zu fehlen.

Hinzu kommt natürlich auch eine für meinen Geschmack zu hohe Frequenz, mit der regelmäßig an fundamentalen Bausteinen der Desktops selbst – speziell von KDE – gerüttelt wird. Der Desktop wird so möglicherweise zu einer unberechenbaren Größe für die Entwickler von Anwendungen. Das hatte ja zuletzt auch Miguel de Icaza zu Recht im Linux-Magazin kritisiert. Vielleicht ist der obige Fall ja auch ein Beleg für dieses Problem.

Ein Desktop lebt schließlich nicht allein von intrinsischer Innovation, sondern in gleichem Maße von den Applikationen, die darauf laufen müssen. Und deren Entwickler brauchen Zeit, um sich auf grundlegende Veränderungen der Desktop-Plattform einzustellen ….

Ein supermoderner Desktop ist nämlich wirklich wenig wert, wenn Applikationen, die vor einem halben Jahr veröffentlicht wurden, nicht mehr auf der neuen Desktopversion laufen.